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Das Mammographie-Screening und das Swiss Medical Board Die Analyse und Bewertung des Mammographie-Screenings durch das Swiss Medical Board ist methodisch bemerkenswert gut ausgefallen und entspricht dem wissenschaftlichen Vorgehen, das die Klinische Epidemiologie vorsieht, das Fach der medizinischen Nutzenbeurteilung. Die in der Öffentlichkeit geäusserte Kritik an diesen Bericht zeigt sich hingegen als bemerkenswert substanzlos. Die wissenschaftliche Nutzenbeurteilung bringt Korrektur im medizinischen Denken Die Klinische Epidemiologie gibt es seit gut 30 Jahren. Herkömmlich besteht einerseits das wissenschaftliche Denken der Klinik - der Bereich der in Spital oder Praxis tätigen Ärzte. Das gewöhnliche Denken der Kliniker dreht sich um Krankheits- und Wirkungstheorien. Wenn die Früherkennung die Brustkrebs-Sterblichkeit reduziert, sind sie begeistert, dass ihre Disseminationstheorie (scheinbar) stimmt und dass sie etwas Wirksames gegen die Krankheit in der Hand haben; aber sie machen sich keine Gedanken über die irrelevante Grösse dieser Wirkung. Andererseits gibt es die Disziplin der Epidemiologie - Mediziner, die am Schreibtisch die Herkunft, Verbreitung und Folgen von Krankheiten in der Bevölkerung studieren. Diese klassische Epidemiologie bringt ihre grosse Wirkungsmöglichkeit zum Ausdruck, indem sie die Wirkung der Früherkennung auf die ganze Bevölkerung oder gar auf die ganze Welt hochrechnet. Mit einer solchen Sandkasten-Rechnung lassen sich nicht nur 1 von 1'000 Frauen in 10 Jahren retten, sondern Hunderte von Frauen im ganzen Land oder gar Hunderttausende auf der ganzen Welt! Diese alarmistische Präventivmedizin (die auch von der die WHO und dem BAG gepflegt wird) übersieht die praktisch-klinische Realität, in der eine solche Frauen-Rettung stattfindet. Erst die Klinische Epidemiologie bringt beide Betrachtungen zusammen und analysiert systematisch, wieviel Gesundheit tatsächlich gewonnen wird und wieviel Beeinträchtigung dabei entsteht. Die Klinische Epidemiologie interessiert sich zudem für die Wirkung auf die Gesundheit insgesamt und zeigt so auch auf, dass mit der Mammographie am Schluss keine einzige Frau gerettet wird, weil die Zahl aller Sterbefälle gleich bleibt. Die "geretteten" Frauen sterben genauso in der gleichen Zeit, einfach an etwas anderem. Dass so etwas als Nutzen erscheinen kann, liegt u.a. an der zunehmenden Spezialisierung. Der Senologe ist für die Brust zuständig und blendet den Rest des gesundheitlichen Geschehens aus. Der Radiologe übergeht das ungelöste Problem falsch positiver Fehlanzeigen beim Screening, denn statistische Gesetzmässigkeiten bei diagnostischen Aussagen sind nicht sein Gebiet. Der am Schreibtisch tätige Präventivmediziner beschäftigt sich mit Zahlen und Nummern, er sieht nie eine Patientin. So sieht und zählt er die Nebenwirkungen nicht, seine Vorliebe sind Horrorzahlen, die seine "Wichtigkeit" hervorheben (und das funktioniert tatsächlich). Weil die Früherkennung als einzige wirklich gesicherte Wirkung eine beträchtliche Zunahme von entdeckten Brustkrebsen hat, bringt in Wirklichkeit die Späterkennung den meisten Frauen den grössten Nutzen (Lehrbuch Allgemein- und Familienmedizin), auch wenn dies nicht generell der Fall ist. Es ist eine wichtige Aufgabe der Hausarztmedizin, durch eine übermässige Spezialisierung erzeugte Fortschritts-Täuschungen zu korrigieren. Brustkrebs ist von Frau zu Frau verschieden Die Klinische Epidemiologie wiederum macht auch darauf aufmerksam, dass eine erfolgreiche Prävention von Einzelkrankheiten die Gesundheit, die Widerstandskräfte und die Lebenserwartung noch nicht automatisch verbessert (Schweizerische Ärztezeitung 12.2.2014). Krankheiten stehen in einem Wechselspiel mit den Gesundungskräften. In Wirklichkeit verläuft der "bösartige" Brustkrebs so gutartig, dass die grosse Mehrheit der Frauen ihren Brustkrebs lebenslänglich gar nicht bemerkt (sie sterben an etwas Anderem). Und schon vor der Früherkennungs-Zeit überlebte die Mehrheit der Frauen einen sichtbaren Brustkrebs, weil allein der natürliche Spontanverlauf diesen "Erfolg" erzielt. Dort wo Widerstands- und Gesundungskräfte hingegen versagen, kann die Medizin am tödlichen Verlauf nicht wirklich viel ändern; weiterhin sterben viele Patientinnen an Brustkrebs, auch wenn neue Brustkrebs-Medikamente eine gewisse Verbesserung gebracht haben. Überlebenden Brustkrebspatientinnen wird suggeriert, sie seien dank der Früherkennung vom Brustkrebstod gerettet worden. In Wirklichkeit sind sie aber durch den natürlichen Spontanverlauf am Leben geblieben. Die natürliche Gesundung ist ein Geschenk der Natur. Wenn die Leute genügend verunsichert sind und leichtgläubig werden, lässt sich dieses Geschenk der Natur auch als Erfolg der Mammographie verkaufen. Wie vor 500 Jahren, als der Ablasshandel die Kassen Roms klingeln liess. Die Leute glaubten damals brav, sie könnten sich bei der mächtigen Kirche Rettung vor dem Fegefeuer erkaufen. Die Kritik am Swiss Medical Board hat keine Substanz Es wird gesagt, die Schweiz mache sich mit ihrem Medical Board und mit dem in vielen Kantonen fehlenden Mammographie-Screening lächerlich und laufe Gefahr, die internationale Anerkennung zu verlieren. Und? Auch wird gesagt, die Frauen müssten unbedingt weiter am Mammographie-Screening teilnehmen, um eine genügend hohe Qualität zu gewährleisten. Also genug Frauen als Versuchs-Kaninchen, damit Röntgen-Ärzte viel Gelegenheit zum üben bekommen? Auch müssten mindestens 70% der Frauen teilnehmen, damit die Früherkennung überhaupt wirke. Geht es denn nicht um den Nutzen und die Belastungen für die teilnehmende Frau? Braucht dieser mannhafte Krieg gegen Krebs nur genug Soldatinnen, die sich verwunden lassen? Es wird zudem gesagt, die Mammographie-Technik sei heute viel besser als zur Zeit der einschlägigen Studien. Ja gewiss - doch das vergrössert nur die Nachteile, weil eine bessere Technik ja noch mehr gesunde Frauen aufspürt, die einen versteckten Brustkrebs haben. In der Tat sind Überdiagnose und Überbehandlung in der Praxis noch grösser ausgefallen, als es die "veralteten" Studien voraussagen liessen. Seit 25 Jahren werden systematische Beurteilungen ignoriert 1990 konnte ich als junger Klinischer Epidemiologe eine Analyse des Mammographie-Screenings in einer der renommierten amerikanischen Fachzeitschriften veröffentlichen (Journal of Clinical Epidemiology: The epidemiology of mass breast cancer screening - A plea for a valid measure of benefit). Es war die erste systematische Analyse des Mammographie-Screenings, so wie wir sie heute kennen. Sie ist in der Systematik identisch mit dem Bericht des Swiss Medical Board und hat diesen im Prinzip schon vor 25 Jahren vorweggenommen. 1995 habe ich mit der "Stiftung Paracelsus heute" zudem die ersten Kurse in evidenzbasierter Medizin in der Schweiz eingeführt, von der FMH unterstützt und patroniert. Diese Kurse und ein Symposium mit dem Titel "Frauen - Willige Opfer der Medizin?" führten damals dazu, dass das Mammographie-Screening (zusammen mit dem Cholesterinscreening, dem Routine-Ultraschall in der Schwangerschaft etc.) aus der Kassenpflicht genommen wurde, allerdings nur für kurze Zeit. Die Mammographie-Anbieter waren mit ihrem tollen Versprechen schliesslich nicht zu stoppen. Es hat aber in der Schweiz viel länger gedauert, bis Programme etabliert wurden, und viele Kantone machten nicht mit. 2001 erfolgte die Systematische Review der Cochrane Collaboration; diese wurde im Juni 2013 letztmals aktualisiert mit der Schlussfolgerung, das Mammographie-Screening hätte eine noch geringere Wirksamkeit als früher angenommen. Denn vor allem die älteren Mammographie-Studien entpuppten sich als methodisch mangelhaft und hatten ein zu optimistisches Bild gezeigt. Bereits 1990 bestand eine unerklärliche Diskrepanz zwischen der technischen Screening-Leistung in den einzelnen Studien und der Wirkung auf die Brustkrebs-Sterblichkeit. In der Folge zeigte sich, dass sich in den moderneren Studien nach 1987 eine deutlich geringere Senkung der Brustkrebs-Sterblichkeit ergab als in den Studien, die vor 1987 publiziert wurden (Medizin-Forum 2001). Obwohl die Mammographie-Technik immer besser wurde, ging die Senkung der Krebstodesfälle in den neueren Studien praktisch auf Null zurück. Darauf weist auch das Swiss Medical Board hin, und international hat die Nutzenforschung das Mammographie-Screening stets als fragwürdig und problematisch bezeichnet. Neue kontrollierte Studien wird es keine mehr geben. Die Studien, die heute jedoch fehlen, sind von den Screening-Betreibern vernachlässigt worden: Untersuchungen über die Auswirkung des Screenings auf die teilnehmenden Frauen und ihre Familien sowie über die Auswirkungen der Einladungen (bei Frauen, die nicht teilgenommen haben). Mehr Nachdenken und Mitgefühl - und eine richtige Information Was Frauen gut brauchen könnten, sind nicht Mitleid, Wunschdenken und viel Geldaufwand, sondern Mitgefühl, das weiss, dass ein Mensch mit seinen Ängsten selber klarkommen muss, um gesund zu werden und gesund denken zu können. Immerhin besteht bei Brustkrebs eine grosse Chance, dass die Natur allein zu einem gutartigen Verlauf verhilft. Ich sehe in der Praxis immer wieder Patientinnen, die dank einem Brustkrebs ihre gesundheitliche Stärke finden und dabei erkennen, dass der Mensch in der modernen Gesellschaft hauptsächlich leidet, weil er immer Angst hat, etwas zu verpassen. Zu sich kommen und so Kräfte sammeln, das kann einen gutartigen Verlauf begünstigen. Das Swiss Medical Board besteht zum grossen Teil aus pensionierten Mitgliedern und stellt die aktivistische "Wissenschaft" in Frage, die keine Zeit zum Nachdenken hat. Das ist ein Glücksfall für die Schweiz. Man wird sehen, wieviele Frauen die Programme wirklich behalten möchten. Nötig ist jetzt eine richtige Information über den fragwürdigen Nutzen. Patienten-Information der Stiftung Paracelsus heute www.paracelsus-heute.ch/cms/literatur/015_patienteninfo_stiftung/PDF/01416_Brustkrebs.PDF Patienten-Information der Cochrane Collaboration www.cochrane.dk/screening/mammografi-de.pdf |
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