Der Cholesterinwert und seine Behandlung sind bedeutungslos - ausser nach Herzinfarkt

Neue systematische Analysen zeigen: Der Cholesterinwert ist bedeutungslos und Cholesterinmedikamente sind nutzlos, weil es im Grunde keine natürliche Grenze zwischen normalen und krankhaften Cholesterinwerten gibt - Ausnahme sind Patienten mit erlittenem Herzinfarkt, bei denen auch ein "normales" Cholesterin behandelt werden sollte.
Dies hat 2014 nun auch das Swiss Medical Board festgestellt
(siehe Kommentar).

Die Stiftung hatte mit einer Stellungnahme an das EDI 1995 schon einmal erreicht, dass das Cholesterinscreening vom Bundesrat aus dem Katalog der Krankenkassenleistungen genommen wurde - leider nur für kurze Zeit. Denn besonders bei der sogenannten Prävention genügte in den letzten 20 Jahren der Wunsch und der Drang, die Welt (der Krankheiten) zu verbessern, um eine medizinische Weltverbesserung in Gang zu setzen und den Menschen Angst zu machen - ungeachtet der genauen Patientensituation.

1991
Cholesterinscreening: Die Irrationalität von Grenzwerten und die Berücksichtigung des Gesamtrisikos für eine rationale Therapie
am Kongress "Rationale Pharmakotherapie in der Allgemeinpraxis" an der Universität Göttingen

1994
Patienteninformation der Stiftung:
Cholesterin... oder die Geschichte vom jungen Gärtner...


1995
entschied das Eidg. Departement des Innern unter Bundesrätin Dreifuss, dass das Cholesterin-Screening - unter anderen - nicht in den Katalog kassenpflichtiger Leistungen aufgenommen wird. Diesen Entscheid beeinflusst hatte die Vernehmlassung der Stiftung Paracelsus heute. Dieser damalige Entscheid, welcher auch die Kassenpflicht von im Nutzen unbewiesenen Leistungen wie der Routine-Ultraschall in der Schwangerschaft, das Mammographie-Screening und das Osteoporose-Screening verneinte, wurde später wieder revidiert. Die medizinischen Fachgesellschaften waren - ohne gute wissenschaftliche Begründung - anderer Meinung.
Die Stiftung stellte in ihrer Vernehmlassung fest: "Das Cholesterinscreening bei engdefinierten Risikogruppen kann die Mortalität insgesamt verringern und sollte in die Liste aufgenommen werden. Ein Cholesterinscreening - und Lipidsenker - bei asymptomatischen Personen sollte hingegen auf eine Negativliste aufgenommen werden, weil deren schädliche Netto-Wirkung relativ gut dokumentiert ist. Oft wird zwar argumentiert, die neuen Statin-Studien hätten die präventive Wirksamkeit der lipidsenkenden Therapie bei Hypercholesterinämie überzeugend dokumentiert. Dies ist richtig, falsch ist aber das Übersehen, dass diese Statin-Studien nur sekundärpräventiv in Hochrisikogruppen durchgeführt worden sind; es bestehen deshalb keine signifikanten Unterschiede zu den Ergebnissen vorgängiger Analysen. Es ist wissenschaftlich unhaltbar, die Statin-Ergebnisse über diese Hochrisikogruppen hinaus extrapolieren zu wollen.


1997
Beitrag am 3. Wissenschaftlichen Einsiedler Symposium der Stiftung:
"Während das ungezielte Cholesterin-Screening (mit den nachfolgenden Fibrat-Therapien) bisher mehr Menschen umgebracht als gerettet hat, weil die Mortalität bei den viel zahlreicheren Niedrigrisiko-Personen durch die Behandlung anstieg, so ist die Medizin inzwischen langsam am Lernen, dass das Gesamtrisiko der ganzen Patientensituation entscheidet und dass es einen Cholesteringrenzwert und ein normales oder pathologisches Cholesterin gar nicht gibt. Die Berücksichtigung der externen Validität - was Wissenschaft erst als solche ausmacht! - lässt uns am sehr gut dokumentierten Modellbeispiel Cholesterin heute erkennen, dass eine "wirksame" Therapie ausserhalb ihres Patienten-Geltungsbereiches umbringen kann, während sie bei gut berücksichtigtem Geltungsbereich Leben retten kann. Und die Behandlung eines "normalen" Cholesterins beim wirklichen KHK-Patienten wirkt lebensrettend, während die Behandlung eines "pathologischen" Cholesterins beim gesunden Wirt schaden kann. Zu Ende gedacht, sind "pathologische" Befunde bei geringer Vortest-Wahrscheinlichkeit oder bei geringem Vorbehandlungs-Risiko als biologisch normal zu werten und nicht als (falsches) Krankheitszeichen, das uns kraft unser unprofessionellen Sozialisation schon wieder zum unaufgeklärten und trivialen Exorzismus verführen will. Wieso können wir das Pathologische oder nur schon das vermeintlich Pathologische nicht (leben) lassen? Wieso erkennen wir nicht einmal den Wahrscheinlichkeits-Charakter und die Fehlerhaftigkeit von Diagnostik?"


2006

Kapitel
Früherkennung und Umgang mit Risikofaktoren in Lehrbuch Allgemeinmedizin und Familienmedizin, Thieme-Verlag 2006:

"Hohe Cholesterinwerte sind nicht von vornherein pathologisch. Ein bei Abwesenheit anderer Risikofaktoren gesunder Körper kann ein hohes Cholesterin gut verkraften und hat aus praktischer Sicht keine Probleme damit."


2010 - 2011
erscheinen drei grosse Untersuchungen ("Meta-Analysen"), welche übereinstimmend den fehlenden Nutzen von Cholesterinmedikamenten bei Gesunden feststellen, d.h. bei Patienten, die noch nie einen Herzinfarkt gehabt haben. Damit wird bestätigt, was eigentlich schon lange klar ist. Dass der Cholesterinwert ohne bereits erlittenen Herzinfarkt in der Praxis bedeutungslos ist, sogar wenn weitere Risikofaktoren vorliegen.
Dies war schon 1991 erkennbar, und es gab in den 20 Jahren nie Studien, die einen insgesamten Nutzen des Cholesterinscreenings hätten zeigen können.


Taylor F et al. Cochrane Systematic Review 2011; 1: CD004816
Ray RR et al. Archives of Internal Medicine 2010; 170: 1024
Therapeutic Letter 2010; 77: 1